Manchmal ist alles etwas anders. Neulich zum Beispiel, da fand der „e-monday“ an einem Mittwoch statt. Der Name des Gastreferenten lautete Xu Jian. Er heißt aber nicht Jian, sondern Xu. Beim „e-monday“ dreht sich alles um Elektromobilität. Trotzdem kommen die Teilnehmer fast alle mit einem herkömmlichen und nicht mit einem Elektro-Auto. Außerdem waren zwei hochkarätige Gastredner angekündigt, der Experte von BMW meldete sich aber krank. Es wurde trotzdem ein spannender Abend.
Herr Xu, Vorname Jian, ist Chinese. Was ihn für den Gastvortrag mit dem Titel „Elektromobilität in China“ prädestiniert, ist sein Werdegang. Herr Xu war nämlich einige Jahre im Vorstand von Volkswagen China. Der Mann kennt sich bestens aus auf dem chinesischen Automarkt. Und vor allem: Herr Xu spricht Deutsch. Inzwischen hat er ein eigenes Unternehmen gegründet. Das entwickelt und baut Lithium-Ionen-Batterien. Bei der Zellchemie – der Wunderformel jedes guten Akkus – setzt er auf Lithium-Eisenphosphat. Seine Firma „HIFE Green Power Technology“ hat die erste wieder verwendbare Batteriezelle erfunden, sagt Herr Xu. Der Mantel der Zelle ist nicht aus Eisen, sondern aus Aluminium. Er ist nicht geschweißt, sondern geschraubt. Wenn die Leistung der Zelle nachlässt, wird der Mantel aufgeschraubt und ein neues Elektrolyt eingefüllt. Herr Xu glaubt daran, dass das ein gutes Produkt und ein gutes Geschäftsfeld ist. Für China. Für die gesamte Automobilwelt. Und für ihn.
Die Zuhörerschaft beim Münchner „e-monday“ stammt aus allen möglichen Bereichen: Finanzierungsvermittler, Unternehmensberater, Ingenieure, Erfinder. Alle, die hier versammelt sind, wollen mit Elektromobilität Geld verdienen. Man tauscht Ideen, Vorstellungen, Visitenkarten aus. Rainer Volck zum Beispiel, ehemaliger Siemens-Mitarbeiter, stellt ein induktives Ladesystem für Elektroautos mit Namen CarGrid vor. (Siemens präsentiert nächste Woche übrigens ein eigenes System.) Um seine Erfindung zu vermarkten, sucht Herr Volck Mitstreiter. Frau Susanne Avenarius von der Firma Neowings präsentiert ein Elektroflugzeug. Das Ding fliegt wie ein Motorsegler. Die Batterien können per Solarzellen in den Tragflächen (teil-)geladen werden. Zur Voll-Ladung geht es in einen Solarhangar. Neben mir am Tisch sitzt Herr Schmidt, „Kapital- und Projektvermittlung“. Herr Schmidt zeigt mir in der Pause Fotos von einem E-Mobil-Prototyp. Eine Art Segway mit Kofferraum, zusammenklappbar, wenn man damit in die Tram einsteigen möchte. Herr Schmidt sucht einen Investor für die Produktion.
Wie sehr das Thema Elektromobilität bei uns noch in der Theoriephase steckt, zeigt sich daran, wie die Teilnehmer angereist sind. Von den etwa 130 Leuten fahren nur eine Hand voll ein Elektroauto. Und das zum Teil auch nur gelegentlich. Der zum Elektro-Auto umgebaute Fiat, der Karabag 500E der ADAC Motorwelt, mit dem ich heute gekommen bin, steht zwischen lauter „schnöden“ Verbrennern ziemlich einsam und verlassen in der Tiefgarage.
China, sagt Herr Xu, ist da schon weiter. Immerhin 20 Millionen E-Bikes werden dort pro Jahr hergestellt und verkauft. Dreizehn ausgewählte Städte in China sind Testmarkt für Elektro- und Hybridbusse sowie für E-Taxis. Allein im Großraum Shanghai existieren etwa 50 Firmen, die Batteriezellen fertigen. 70 % aller Batterien weltweit, die für Handys oder Notebooks benötigt werden, kommen aus China. Der Staat pumpt eine Menge Geld in diese Zukunftsindustrie. Und Geld habe China wirklich genug, darunter Berge von US-Devisen, die weg müssen. Schließlich wird der US-Dollar immer schwächer. „Wir erwarten jetzt ein explosionsartiges Wachstum der Batterieproduzenten. Wobei es in einer zweiten Phase zu einer Konsolidierung des Marktes kommen wird. Selbst von den zehn größten Produzenten werden am Ende nicht alle überleben.“ Dass sein Unternehmen unter den Gewinnern sein wird, davon geht er schweigend aus. Auf Nachfrage antwortet Herr Xu lächelnd: „Im Moment stecken wir noch in der Phase des burning money.“
Bis 2020, erklärt Herr Xu, will die Zentralregierung Chinas fünf Millionen Elektroautos auf Chinas Straßen sehen. In fünf ausgewählten Städten werden Privatpersonen, die sich ein Elektroauto anschaffen, massiv gefördert, sodass die Preise im Vergleich zu einem herkömmlichen Auto konkurrenzfähig sind. Die staatlichen Stromversorger bauen die notwendige Ladeinfrastruktur auf. Auch ein Netz von Batteriewechselstationen wird aufgebaut. Ab 2020 werden 20 bis 30 % aller in China verkauften Autos reine Batteriefahrzeuge oder Plug-in-Hybride sein. Mit 10,5 Millionen Zulassungen pro Jahr ist China schon heute der größte Automarkt der Welt. Tendenz: rapides Wachstum.
Für Berufspendler wie mich, denke ich auf der Heimfahrt mit dem Karabag 500E, wäre so ein Elektroauto tatsächlich völlig okay. Ich brauche nicht mehr Platz, ich brauche nicht mehr Reichweite. Nur etwas mehr Tempo auf der Autobahn, das wäre mir schon wichtig. Mit 100 km/h – der Karabag wird bei 105 km/h abgeregelt – fühlt man sich als Verkehrshindernis. Der Akku des Karabag 500E ist nach rund 50 Kilometer Fahrt noch zu etwa 60 Prozent gefüllt, so die Anzeige. Es reicht also, ohne Aufladen morgen wieder ins Büro zu fahren.
China ist weltweit führend in der Zellchemie. Europa aber hat die Nase vorn beim Batteriemanagement. So lautete am Abend das Resumee des Herrn Xu. China suche deshalb dringend Kooperationen mit europäischen Partnern. Vielleicht hat Herr Xu am Abend noch einen in dieser Hinsicht interessanten Gesprächspartner gefunden.
Der Akku der Digitalkamera, die ich über Nacht im Auto habe liegen lassen, ist am nächsten Morgen so gut wie leer. Dabei war die Batterie tags zuvor komplett geladen. Folglich hat sie die Nacht mit Temperaturen von um die 2 Grad nicht vertragen. Dem Akku des Karabag 500E hat es offenbar überhaupt nichts ausgemacht. Der Zeiger steht auch nach der kalten Nacht noch bei 60 Prozent. Die Zellen des koreanischen Herstellers Kokam sind offensichtlich deutlich kälteresistenter. Komisch, Herr Xu hat die Zellfertigung in Korea gar nicht erwähnt. Die sollte er aber auch auf der Rechnung haben.
Text: Wolfgang Rudschies
Ja ja, auch den besten Profis unterlaufen gegelegentlich Fehler beim Überblick. Das war sicherlich nur offiziell. Inoffiziell hat Herr Xu ganz bestimmt die Koreaner auf dem Zettel. Währe bei dem Marktanteil der Koreaner auch sträflich sie nicht im Auge zu behalten.
Im allgemeinen fällt mir auf, dass die Interessenten wohl noch nicht ganz von ihrem Bereich überzeugt sind. Gut, sollen sie erst mal tuscheln. Verhindern kann man die Zukunft ohnehin nicht. Mit gutem Beispiel voran gehen wäre natürlich überzeugender.
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