Die Mobilität der Zukunft 1: Elektromobilität in Deutschland


(Foto: Marc-Steffen Unger)

Professor Henning Kagermann, Physiker, Industriemanager, Präsident der deutschen Akademie der Technikwissenschaften.

Die Automobilindustrie ist im Umbruch. Ohne alternative Antriebskonzepte wird es künftig nicht gehen. Eine große Herausforderung. In der Serie „Die Mobilität der Zukunft“ widmet sich die Motorwelt jeden Monat den wichtigsten Fragen: Wie gut ist Deutschland für die Zukunft aufgestellt? Welche Art Auto werden wir 2020 fahren? Wir untersuchen und bewerten die Strategien der Konzerne, der Wissenschaft und der Energiewirtschaft. In Teil 1 unserer Serie spricht Henning Kagermann, Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität, über die Risiken und Chancen alternativer Antriebe für den Standort Deutschland – und warum Stromautos unbedingt Spaß machen sollten …

Motorwelt: Herr Kagermann, Sie sind als der Vorsitzende der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) ein wichtiger Botschafter für alternative Mobilität. Fahren Sie schon ein Elektroauto?

Henning Kagermann: Ich werde mir eines zulegen – in ein bis zwei Jahren. Noch gibt es ja nicht so viele Angebote. Aber ein Elektromobil passt grundsätzlich sehr gut für mich; ich pendle aus dem Süden Berlins in die Stadt, die Strecke beträgt 35 Kilometer einfach. Für längere Fahrten behalte ich meinen Wagen mit konventionellem Antrieb.

Nicht jeder kann sich zwei Autos leisten.

Auch für denjenigen, der sich nur ein Fahrzeug leisten kann oder will, wird es Angebote geben, und zwar Elektroautos mit Benzinmotor als Reichweitenverlängerer oder Hybridautos. Da hat man beides in einem, Batterieantrieb für kurze Fahrten und Verbrenner für längere Strecken. Wir rechnen damit, dass von der Million Elektrofahrzeuge, die es 2020 geben soll, die Hälfte Hybridfahrzeuge sein werden.

Weiß jeder Deutsche, was die Nationale Plattform ist und was sie leistet?

Wenn nicht, dann vielen Dank für die Frage. Die NPE sollte in Deutschland ruhig bekannter sein, denn mit dieser Plattform haben wir eine weltweit einzigartige Bündelung der Kräfte erreicht, die auch für andere Themen, wie die Energiewende, beispielhaft sein könnte. Konkret: Wir haben in sieben Arbeitsgruppen rund 150 Experten aus Politik, Industrie, Gewerkschaften, Wissenschaft sowie Verbraucher an einen Tisch gebracht, um die Elektromobilität in Deutschland voranzubringen. Alle haben erkannt: Es geht nur gemeinsam; niemand allein wäre stark genug, um das Thema zu stemmen.

War diese deutsche Bündelung der Kräfte dringend nötig, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können?

Insgesamt sehe ich Deutschland so gut positioniert wie kaum ein anderes Industrieland der Welt. Denn wir haben Stärken nicht nur in der Automobilbranche, sondern auch auf den Gebieten Chemie, Energie, Maschinenbau und in der Systemintegration. Andererseits haben Länder wie die USA und China oder auch Japan größere Heimatmärkte, daher muss ein Land wie Deutschland besonders intelligent vorgehen, um dauerhaft Erfolg zu haben.

Wie wichtig ist künftig die Batterietechnologie für Deutschland?

Fünf Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen von der Automobilbranche ab, und es ist klar, dass neben dem Verbrennungsmotor, bei dem unsere Industrie weltweit führend ist, der Batterieantrieb auch für die Wertschöpfung in Deutschland immer wichtiger wird.

Ist das jedem klar?

Mittlerweile hat sich das wohl herumgesprochen. Das war zu Beginn der Arbeit der Plattform aber noch anders. Damals dachte man, es reiche, die Zellen für die Batterien aus Asien zu importieren. Als Folge davon hätten wir aber sehr viel Wertschöpfung in Deutschland, also Arbeitsplätze hierzulande, verloren. Daher haben wir uns darauf verständigt, dass in Deutschland die kompletten Batterien entstehen sollen, also auch die Zellen. Mich freut es, dass die Plattform hier etwas bewegt hat.

Halten Sie es für ein Hindernis, dass Daimler, BMW und VW auf Jahrzehnte noch Diesel und Benziner verkaufen werden, um Geld zu verdienen?

Nein. Den Chefs dieser Konzerne ist klar, dass sie eine zweigleisige Strategie fahren müssen. Gerade die derzeit hohen Gewinne mit konventionellen Fahrzeugen ermöglichen es den deutschen Unternehmen, jetzt kräftig in die Entwicklung von alternativen Antrieben zu investieren. So sichern sie ihre Zukunft.

Wie schnell muss die deutsche Automobilindustrie Ihrer Ansicht nach sein?

Die deutsche Industrie muss nicht nur schnell sein, sondern besonders gut. Denn von den Premiummarken erwarten die Verbraucher besonders ausgereifte Fahrzeuge, keine Schnellschüsse. Klar ist aber auch: Wenn man sich zu lange zurücklehnt und zu spät startet, nützt selbst der beste Endspurt nichts.

Ohne den Verbraucher wird es nicht gehen, er muss Elektromobilität wollen. Was tut die Plattform hier?

In unseren Berichten haben wir der Politik einen ganzen Katalog an Maßnahmen vorgeschlagen, wie die von der Politik gewünschten Absatzziele erreicht werden können. Das lässt sich unterteilen in finanzielle Anreize und nicht finanzielle Anreize. Im Regierungsprogramm hat die Politik vieles direkt aufgenommen, etwa die besondere Förderung von Forschung und Entwicklung, nicht so sehr aber finanzielle Anreize wie etwa Steuer-Gutschriften oder Sonderabschreibungen. Nicht sehr verbraucherfreundlich ist derzeit nach unserer Erkenntnis auch die Einstufung der Hybridfahrzeuge, die besser gewichtsabhängig gestaltet werden sollte. Wenn wir beim Monitoring feststellen sollten, dass wir unsere Ziele so nicht erreichen, wird man nachbessern müssen. Da die Politik selbst ein hohes Interesse hat, die eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen bis 2020 zu erreichen, hat man uns Flexibilität signalisiert.

Wie wichtig sind die Kosten?

Sehr wichtig, aber sie sind nicht der einzige Faktor. Entscheidend sein dürften drei Kriterien: Preis, Komfort und Image. Die Preise werden sinken, wenn wir hohe Stückzahlen erreichen. Über diesen Berg müssen wir rüber. Ziel ist der sich selbst tragende Markt, den die Industrie ab 2018 erwartet. Neben den Kosten ist der zweite Punkt die Bequemlichkeit, das darf nicht unterschätzt werden. Das Laden der Batterie muss irgendwann so komfortabel sein wie das heutige Tanken.

Ist das zu schaffen?

Da bin ich guter Dinge. Wenn Sie in Ihrer eigenen Garage Strom tanken, finde ich das sogar bequemer als an der Tankstelle. Auch halb öffentliche Strukturen, also beim Arbeitgeber oder in einem Parkhaus, bieten überzeugende Lösungen. Die Herausforderung liegt derzeit noch bei der öffentlichen Infrastruktur, den Stromzapfsäulen im Stadtbild. Wer stellt die auf, wer wartet die, rechnet sich das? Wie die Infrastruktur der Zukunft aussehen wird, kann heute keiner zu 100 Prozent beantworten. Die Hochlaufphase verschafft uns glücklicherweise Zeit, um diese Fragen zu klären. Hier sind innovative Ideen gefragt.

Könnte die Politik helfen?

Ja, und das sogar, ohne Geld in die Hand zu nehmen. Wir brauchen eine europaweite Norm für die Steckersysteme, das ist sehr wichtig. Die Automobilkonzerne haben sich offenbar schon geeinigt, die großen Stromkonzerne noch nicht ganz. Ich setze hier auf Vermittlung durch die Regierung.

Und der dritte Punkt, das Image?

Die Emotionen sind vielleicht das Wichtigste. Ein Auto wird heute längst nicht nur gekauft, um von A nach B zu kommen. Die Menschen fragen stattdessen eher: Macht das Fahren Spaß? Liebe ich den Sound des Motors? Heute hängt die Emotion des Käufers stark am Verbrennungsmotor. Ein geräuschloses E-Mobil klingt nicht wie ein Turbo, dafür ist die Beschleunigung aber richtig klasse. Ich hoffe, dass die Designer und Ingenieure es schaffen, ihre neuen Möglichkeiten zu nutzen. Elektroautos können ganz anders konstruiert werden als heutige Pkw. Die Firmen müssen die neuen Strommobile so bauen, dass die Kunden sagen: Wow, das will ich haben.

Derzeit gibt es in Deutschland acht Modellregionen, in denen Elektromobilität ausprobiert, gefördert und erforscht wird. Soll das so bleiben?

Die Erkenntnisse aus solchen Versuchen sind sehr wertvoll. Für die nächste Phase haben wir nun vorgeschlagen, die Anstrengungen in drei bis fünf Schaufenstern zu bündeln. Das kann eine Stadt oder eine Region sein, mehr Autoverleih im Feriengebiet oder Flottenparkmanagement oder die integrierte Mobilitätslösung für städtische Ballungsräume.

Was wird in den Schaufenstern erprobt werden?

Am besten ein möglichst breites Spektrum an Anreizsystemen: Was nehmen die Verbraucher an, was motiviert sie, ein Elektromobil zu fahren? Wie lässt sich E-Mobilität, etwa durch Carsharing, sinnvoll an den öffentlichen Nahverkehr anbinden? Auch innovative technische Systeme können sich in den Schaufenstern bewähren, etwa E-Mobile als mobile Stromspeicher, die Energie ins öffentliche Netz einspeisen. Das kann uns bei der Energiewende helfen, wenn mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird, weil der Ertrag aus Wind- und Wasserkraft ja nie so gleichmäßig sein kann wie bei einem Kernkraftwerk.

Können Autobatterien wirklich soviel Strom speichern, dass es für die öffentliche Versorgung eine Rolle spielt?

Es gibt Berechnungen, die bei sechs Millionen Elektroautos in 2030 auf 15 Gigawattstunden kommen. Das ist viel, und ich halte das für realistisch.

Stimmt sich die Nationale Plattform mit anderen Ländern ab?

Die internationale Perspektive war uns von Anfang an wichtig. Schon in einer Studie vorab hatte die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften darauf aufmerksam gemacht, dass es für die exportorientierte Industrie in Deutschland wichtig ist, nicht nur Leitmarkt zu werden, sondern Leitanbieter. Der Erfolg der Elektromobilität entscheidet sich schließlich nicht allein auf Deutschlands Straßen. Die NPE hat deshalb auch einen Tag im Jahr dem internationalen Austausch gewidmet. Neben den Ländern, die selbst Autos produzieren, wie die Vereinigten Staaten, China, Japan und Frankreich, waren auch die Niederlande und Österreich vertreten, um ihre Mobilitätsanforderungen einzubringen. Außerdem haben wir die internationalen Produzenten eingeladen, sich an den Schaufenstern in Deutschland zu beteiligen.

Die Erdöl produzierenden Staaten waren wahrscheinlich nicht dabei.

Nein. Aber eines ist klar: Wie schnell sich Elektromobilität durchsetzen wird, hängt auch vom Ölpreis ab. Unsere aktuellen Modellrechnungen gehen von moderaten Erhöhungen aus. Sollte der Preis explodieren, wird das Fahren mit Strom schneller kommen. Halten die Ölstaaten aber den Ölpreis über Jahre lang künstlich tief, wird sich die Elektromobilität schwerer tun. Deshalb ist es gut, dass die NPE in einem jährlichen Monitoring-Bericht prüfen wird, ob unsere Strategie noch passt oder ob Anpassungen erforderlich sind.

Interview: Michael Ramstetter, Mario Vigl

Foto: Marc-Steffen Unger

3 Antworten zu “Die Mobilität der Zukunft 1: Elektromobilität in Deutschland

  1. Und derweil in Villariba noch geputzt wird, wird in Villabacho schon gefeiert…

    Der typisch dt. Kunde ist mittlerweile durch all die künstlich geschaffenen und aufrechterhaltenen Bedürfnisse so anspruchsvoll – auch im Automobilsektor – daß er die wahren Bedürfnisse leider oft aus den Augen verliert.

    Dies gilt in meinen Augen auch insbesondere für die hochkomplexen, nur mit extremem Spezialwissen zu wartenden, ressourcenhungrigen, qualitativ hochwertigen, im Halbjahrestakt neu überarbeitet auf den Markt geworfenen dt. Automobile.

    Die Frage sollte eigentlich heißen: Wieviel Auto braucht der Mensch?
    Antwort:
    – Beförderungsmittel von A nach B
    – möglichst trocken
    – freie Sicht
    – evtl. möglichst gut temperiert

    Die antrainierte Frage lautet aber üblicherweise: Mit Fahrspurassistent, mit Nackenwirbelseparatmassage, mit frisch gepreßt angereichtem Multivitaminsaft, mit persönlichem Buttler hier, mit ner unglaublich superduper hyperbolischen Sicherheitsüberwachungsmegaunglaublich-Dingsda dort – vielleicht noch bißchen Zusatzgarantie, Schwungregler, …?

    Wo bleiben – neben den heute üblichen und realistisch auch nicht wegzudenkenden aufgeblasenen 5+-Personen+Gepäck-Fahrzeugen – die kleinen 1-2 Personen Fahrzeuge, die ressourcen-, kosten-, platz-, … schonend sind? Wo die Vernunft?

    Und warum bitte dauert die angeblich auf Hochtouren laufende Entwicklung von (!vielleicht auch mal vernünftigen!) e-Fahrzeugen so lange, wo es sie doch bereits seit Dekaden gibt???

    Es bleibt spannend…

  2. Wolfgang Müller-Brunke

    Elektroauto durch TANKSOLAR.com
    Ich denke wir sollen uns einfach auf das Elektroauto einlassen. Ich verkaufe in unserer Region die gebrauchten französischen Elektroautos unter 15.000,– Euro. Hier trägt sich das Elektroauto noch, wenn man am Tag ca. 60 km Fahrstrecke hat. 100 km kosten uns ca. 3,– Euro. Versich. & Steuer im Jahr unter 200,– Euro. Ich denke die Schmerzgrenze für neue e-Autos liegt unter 20.000 Euro.
    Erst durch das Eigene tun habe ich die stärken und schwächen Seiten beider Systeme erhalten. Das sollten auch die Experten machen, bevor sie Interviews geben. Man kann die Erfahrung auch mit gebrachten Elektroautos machen, die Franzosen bauen seit 15 Jahren schon Elektro-Autos. Es haben schon viele bei mir diese E-Autos probegefahren. Einige haben den Mut gefasst und fahren heute selbst einen. Die wirtschaftlichen Interessen steht bei uns nicht im Vordergrund, das werden die großen Firmen in Anspruch nehmen. Es ist toll als Pionier zu gelten und solche Entwicklungen zu betreiben, Ich werde mit meinem gesammelten Wissen alle weiterhelfen, die auf diese elektrische Spur gehen wollen.
    Das E-Auto ist für uns alle eine große Chanze, da sie die alten verknöcherten Strukturen aufbrechen werden. Es werden vielen neue Jobs entstehen, im Gegenzug auch viele verloren gehen. Aber so ist es immer. Sonst würde der Heizer der Dampflokomotive auch heute noch an seinem Job festhalten und sich nicht verändern. Unsere Autobauer werden wieder nur unbezahlbare Nobelfahrzeuge herstellen, die sich der normal Verbraucher nicht leisten kann. Wenn wir nur Reden/ Forschen und keine Erfahrung mit den alltagstauglichen Fahrzeugen sammeln, werden wir weiter Schlusslicht in Europa bleiben.
    Wolfgang Müller-Brunke

  3. Pingback: electrive.net » Volker Blandow, TÜV SÜD, Tesla, Gitano, BMW, ADFC.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s