„Wir sehen uns als Wegbereiter für Elektromobilität“


Ob Antriebskomponenten für das Elektroauto, die Ladeinfrastruktur oder das intelligent gemanagte Stromnetz der Zukunft. Der Elektrokonzern Siemens verspricht Technik-Lösungen im ganzheitlichen Ansatz. Was das ist, ließ sich ADAC Motorwelt Redakteur Wolfgang Rudschies von Prof. Dr. Gernot Spiegelberg, Siemens Corporate Technology, erklären.

Herr Prof. Spiegelberg, steigt Siemens jetzt wieder in das Geschäft als Automobilzulieferer ein?
Auch, allerdings fokussiert auf das Feld der Elektromobilität. Und da ist Siemens natürlich deutlich mehr als ein Automobilzulieferer. Als Systemlieferant in der Elektrotechnik sehen wir uns als ganzheitlichen Wegbereiter der Elektromobilität. Wir entwickeln nicht nur Komponenten für das Elektroauto, sondern auch die Infrastruktur und den Anschluss des elektrischen Fahrzeuges an ein Energienetz.

Sie waren bei Siemens VDO ja auch verantwortlich…
..für die Technik und Strategie damals…
…bis VDO verkauft wurde an Continental. Ist die komplette Mannschaft mitgegangen?
Die Serienentwicklung und die Produktion.

Gab es so eine Art Sperrfrist, sich wieder im Automobilgeschäft zu betätigen?
Es wurde eine Ausschließlichkeitserklärung für 30 Monate festgeschrieben, die Mitte 2010 ausgelaufen ist.

Siemens-Forscher entwickeln gemeinsam mit der Ruf Automobile GmbH eine Versuchsflotte von 10 Elektroautos auf der Basis des Porsche 911.

Siemens entwickelt mit Ruf eine Versuchsflotte von 10 Elektroautos auf der Basis des Porsche 911. Foto: Siemens

Sie haben einige Elektroautos mit der Firma Ruf zusammen aufgebaut. Als Basis dienten Fahrzeuge von Porsche. Sind die auch so schnell wie ein Porsche?
Elektromotoren haben generell einen besseren Durchzug als vergleichbare Verbrennungsmotoren. Speziell aus dem Stillstand ist die Beschleunigung größer.

Warum haben Sie sich mit Ruf zusammengetan? Wollten Sie einfach mal ein Show-Fahrzeug aufbauen oder wie hat sich das entwickelt?
Mit unserem Know-how für die Vorentwicklung innovativer Fahrzeugkonzepte wollten wir in einem Demonstrationsprojekt die von uns entwickelten Komponenten im Straßenverkehr ausprobieren können. Und da war die Firma Ruf diejenige, die am flexibelsten und am schnellsten rangehen konnte.

Zählen Sie die Komponenten von Siemens doch bitte mal auf.
Es ist alles drin, was Sie für ein elektromotorisches Fahrzeug brauchen. Die Maschine, die Leistungselektronik, die Kommunikationsbox, um überhaupt einen gesteuerten Ladevorgang machen zu können. Also alles das, was Sie heute in einem Fahrzeug ersetzen müssen, um aus einem Verbrennungsfahrzeug ein Elektrofahrzeug zu machen. Nur die Akkus sind nicht von uns.

Heißt das, Siemens-Komponenten wären nicht im Segment der Klein- und Kompaktwagen einzusetzen?
Doch, das tun wir mit Volvo, und Volvo ist dafür ein sehr guter Partner. Denn wir wollen natürlich auf höhere Stückzahlen kommen. Und nur darüber schaffen wir eine Kostenreduktion bei den Antriebsstrangkomponenten Leistungselektronik und Elektromotor.

Skalierbar: E-Motoren für verschiedene Fahrzeugsegmente. Foto: Rudschies

Sind die Siemens-Komponenten also auf Fahrzeuge jeder Größe übertragbar?
Wir haben bei Corporate Technology Vorarbeit zu einem Modulkonzept betrieben, das primär aus einem Motor mit 50 und 60 Kilowatt Dauerleistung besteht, aber überlastfähig ist bis auf das Doppelte. Jetzt haben Sie also damit einen einzelnen Motor, den Sie in einen gut motorisierten Kleinwagen einsetzen können, genauso gut aber auch in einen ausreichend motorisierten Mittelklassewagen oder mit einer höheren Untersetzung auch in einem kleinen Lieferwagen. Sie können ihn zudem für einen gut motorisierten Allrad-SUV benutzen, wenn Sie zwei Motoren einbauen. In diesem Fall bauen Sie einen Motor auf die Hinterachse und einen Motor auf die Vorderachse. Für einen interessanten Sportwagen bauen Sie einen Elektromotor auf die linke Seite und einen auf die rechte Seite; damit haben Sie auch die Möglichkeit zum Torque-Vectoring. Mit zwei voneinander getrennten Elektromotoren funktioniert das optimal. Eine Software steuert die Kraft, die von dem jeweiligen Rad übertragen werden soll. Auf das kurvenäußere Rad geht mehr Drehmoment als auf das kurveninnere Rad, weil sich das Fahrzeug ja auf das kurvenäußere Rad abstützt. Und damit können wir adhäsionsgerecht besser beschleunigen. In einem weiteren Fahrzeugprojekt wurden diese Motoren bereits in die Radnabe integriert. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, eine breite Palette von Fahrzeugen abdecken zu können. Die Serienentwicklung leitet hieraus marktgerechte Produkte ab.

Sie verbauen also quasi immer denselben Motor?
Nicht denselben, aber mit einem ähnlichen Motorkonzept.

Ein großes Thema bei Siemens ist das  „Smart Grid“ beziehungsweise „Vehicle to Grid“. Was meinen die Begriffe?

Beim Vehicle to Grid wollen wir die Fahrzeuge hochleistungsfähig ans Netz anschließen. Also nicht mit 3,6 Kilowatt, wie beim Strom aus der Steckdose mit 230 Volt und 16 Ampere, sondern dass wir das 400-Volt-Drehstromnetz nutzen, das übrigens in jedem deutschen Haus vorhanden ist – etwa für den Küchenherd. Mit 22 Kilowatt funktioniert es ganz hervorragend, ein Fahrzeug über eine Wallbox anzuschließen. Das würde bedeuten, dass Sie ein Auto in maximal eineinhalb Stunden aufgeladen haben. Das ist schon mal ein Riesenvorteil.
Aber das geht noch weiter. Vehicle to Grid heißt, dass das Auto nicht nur Strom bezieht vom Netz, sondern auch ans Netz abgeben kann. Das Elektroauto  lädt Strom, wenn er überschüssig vorhanden ist und speist ihn wieder zurück, wenn er im Netz gebraucht wird. Damit ist unser Elektrofahrzeug nicht nur in der Lage als Energiespeicher zu dienen, sondern kann bei entsprechender Verwaltung sogar an der Leistungsspitzenregelung im Netz teilhaben. Dies wird besonders bei zunehmenden Photovoltaik-Nutzern interessant.

Und was ist, wenn der E-Autofahrer plötzlich unvorhergesehen irgendwohin fahren muss – kann er das dann nicht?
Wir entwickeln derzeit ein intelligentes Lademanagement mit verschiedenen Möglichkeiten. Entweder behält die Batterie einen Mindestenergieinhalt, das ist die primitivste Lösung. Oder aber das Auto lernt in Abhängigkeit von seinem Benutzungsverlauf, wann an welchem Tag der Besitzer welche Reichweite braucht. Dritte Möglichkeit: Der Nutzer programmiert es, wie er es haben will. Wichtig im Endeffekt ist, dass der Benutzer von der Komplexität nicht erschlagen wird.

Wie weit sind Sie von einem realen Einsatz entfernt mit dieser Technik?
Wir sind damit im Prototypen-Stadium. Wir können uns heute hier per Mobiltelefon mit unserem Auto unterhalten. Wir können aus dem Auto herauslesen: Wie ist der Batteriezustand? Wo befindet sich das Auto? So machen wir das mit all unseren Erprobungsfahrzeugen.

E-Auto-Versuchsflotte von Siemens. Foto: Simon Katzer

E-Auto-Versuchsflotte von Siemens. Foto: Simon Katzer

Wie viele Autos würden zur Netzstabilisierung gebraucht? Haben Sie das mal durchgerechnet?
Das hängt von den Standzeiten, die meistens über 90 Prozent beträgt, und der Anschlussleistung der Autos ab. Unstrittig ist aber, dass durch die große potenzielle Menge an Autos ein riesiger Energiespeicher zur Verfügung stehen wird, der vermutlich mehrere Kraftwerke ersetzen kann.

5 Antworten zu “„Wir sehen uns als Wegbereiter für Elektromobilität“

  1. Wenn jeder Zyklus für 130 km reicht, dann ergeben 1.000 Zyklen 130.000 km. Das ist weit mehr als ein durchschnittliches Elektroauto im Leben fährt. Jeder weitere Zyklus kann also für V2G oder auch V2H genutzt werden. Gute Akkus erreichen heute übrigens bereits 3.000 Zyklen und mehr.
    Ich frage mich jedoch, ob sich jemand wirklich 400V 32A Drehstrom in die Garage legen lässt. Denn über Nacht kann ich bequem auch an der Steckdose laden. Ob er Wagen in der Nacht nach einer Stunde oder nach 6 Stunden wieder voll ist, ist mir als Nutzer ja prinzipiell mal egal.

    • „..130.000 km. Das ist weit mehr als ein durchschnittliches Elektroauto im Leben fährt.“
      Sorry, aber da muss ich Ihnen widersprechen.
      Ok: das mag die Lebenserwartung der (derzeitigen) Akkus sein, aber einer der grossen Vorteile des Elektromotors (und, bei richtiger = nicht zu komplizierter Konstruktion auch des EAutos!) ist doch gerade die Langlebigkeit und Wartungssparsamkeit!

  2. Die 1000-2000 Ladezyklen beziehen sich auf Vollladezyklen, also 80-100%. Wenn nur 10% der Energie genutzt wird, halten selbst heutige Akkus weit über 10.000 Zyklen. Und selbst dann ist der Akku ja nicht kaputt, sondern hat nur noch 80% seiner ursprünglichen Kapazität.

    Wenn es von der Elektronik nicht zu aufwändig und damit teuer ist, macht V2G echt Sinn.

  3. Pingback: electrive.net » “Elektrolüge”, Hannover, OnStar, Jungheinrich, Mia.

  4. Bei Vehicle-to-Grid gibts ein Problem: Die Ladezyklenfestigkeit der Batterien. Solange die noch bei 1000-2000 Ladezyklen herumkrebst, kann man sowas vergessen.

    Ich sehe da mittelfristig eher eine „Vehicle-to-HomeGrid“-Lösung: Das eigene Auto gibt nur genau so viel Leistung ab, wie der Haushalt momentan selbst verbraucht, sodass weder eingespeist noch zugekauft weden muss (temporär autarke Stromversorgung)

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