Im Schaeffler-Konzern entstehen Bauteile, die den Markt für Elektrofahrzeuge revolutionieren könnten. Ein Gespräch mit dem Chefentwickler Rolf Najork.
Herr Najork, Sie sind Leiter des Systemhauses Elektromobilität. Was ist das Systemhaus und welche Ziele verfolgt Schaeffler damit?
Wir haben das Systemhaus Anfang 2011 gegründet. Wir haben jetzt annähernd 150 Mitarbeiter, Ende nächsten Jahres 300 Mitarbeiter, die sich mit der ganzen Bandbreite der E-Mobilität beschäftigen – von Aggregaten über Komponenten wie Start-Stopp bis zum rein batterieelektrischen Antrieb.
Sind das alles Entwickler im engeren Sinne?
Ein ganz kleiner Anteil davon sind auch Spezialisten aus der Fertigung, damit wir von vornherein Fertigungsbelange berücksichtigen. Einige werden auch für die Themen Controlling und Einkauf zuständig sein, damit man aus der E Mobilität auch ein profitables Geschäft macht.
Der Markt an Ingenieuren für diesen Bereich ist wie leergefegt. Haben Sie Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal in Deutschland zu finden?
Wir haben zuerst die Kapazitäten gebündelt, die wir schon im Unternehmen hatten. Für unsere Aktivitäten in China suchen wir chinesische Ingenieure vor Ort. Sicherlich suchen mehrere Unternehmen letztendlich die gleichen Spezialisten. Schaeffler gehört offensichtlich zu den interessanteren Möglichkeiten, schließlich läuft es bei uns gut.
Bauen Sie in China schon ein Entwicklungszentrum oder Fabriken auf?
Ja, aber in kleinerem Maßstab. Um Markterfolg zu haben, gilt es Teil interessanter Prototypen-Programme zu werden, aus denen sich dann letztendlich auch Serienprogramme entwickeln. Um hier ideal aufgestellt zu sein gilt, dass die Organisation mit dem Markt wachsen muss. Auf einem schnell wachsenden Markt vollzieht sich dann auch der Aufbau dementsprechend schnell.
China ist für Sie also ein wesentlicher Zukunftsmarkt?
Im Augenblick findet die Elektromobilität im Premiumsegment statt. Dieses Marktsegment wird über kurz oder lang nur noch politisch und sozial hoffähig bleiben, wenn anspruchsvolle, umweltfreundliche Technologien enthalten sind. Dieser Großfahrzeug-Hybrid-Premiummarkt befindet sich in Europa und Nordamerika. Am anderen Ende sehen wir radikal neue Kleinfahrzeug-Konzepte für urbanes Fahren, auch wirklich rein elektrische Fahrzeuge. Dafür liegt der Markt in den Megacitys Ostasiens.
Russland ist nicht attraktiv als Markt?
Russland ist sicherlich einer der Märkte, wo sich der „V8“ am längsten hält. Da ist das Thema CO2-Reduktion nicht so hoch aufgehängt wie in den westlichen Ländern.
Was ist denn Ihr stärkstes Produkt in der Welt der E-Mobilität?
Wir haben heute drei Produkte. Das eine ist das Parallel-Hybrid-Modul oder P2-Modul. Das ist quasi eine Scheibe, die zwischen Motor und Getriebe gesetzt wird, und die eine sehr starke Elektromaschine und eine zusätzliche Kupplung beinhaltet. Das ist eine der Technologien, wie sie beispielsweise in der SUV-Linie des VW-Konzerns zum Einsatz kommt. Schaeffler ist auch Partner für weitere Projekte und bei anderen Herstellern. Hierüber kann ich Ihnen heute aber keine weiteren Informationen geben, schließlich obliegen wir, als Zulieferer, bis zum Beginn der Produktion der Geheimhaltung. Ich kann Ihnen aber so viel sagen: Die elektrischen Maschinen werden stärker und die Batterien größer werden. Die Maschinen werden 60, 80 kW leisten. In drei, vier Jahren werden wir eine Menge Fahrzeuge sehen, die als Plug-in-Hybride zwischen 20 und 60 Kilometer elektrisch fahren, je nach Batteriegröße.
Welches ist das zweite Produkt?
Das Zweite ist die elektrische Achse, unser eDifferenzial. Dieses Bauteil vereint Elektroantrieb und Zwischengetriebe. Mit ihm lassen sich die Räder der Hinter- oder der Vorderachse radselektiv antreiben. Es ist ein erkennbarer Trend, den mechanischen Allrad durch eine elektrische Achse zu ersetzen, um damit die Vorteile eines Hybrids mit denen eines Allrads zu kombinieren. Außerdem ermöglicht das Schaeffler eDifferenzial Torque Vectoring, die intelligente Kraftverteilung an die einzelnen Räder. Diese Technik ermöglicht eine gesteigerte Fahrzeugdynamik bei gleichzeitig höherer Fahrsicherheit. Hiermit haben wir derzeit technologisch die Nase vorn.
Und das dritte Produkt?
Damit haben wir den bayrischen Staatspreis im Rahmen der eCarTec gewonnen, unser Radnabenantrieb Schaeffler eWheel Drive. Der Radnabenantrieb ist eine extrem anspruchsvolle Technologie. Aber die ist wichtig. Denn wir müssen uns nicht nur überlegen, wie man das Fahrzeug antreiben kann, sondern wie man es auch ganz anders bauen und gestalten kann. Die Megacitys der Welt vertragen keine Autos mit fünf Metern Außenlänge. Da brauchen wir 500 Kilo leichte Zweisitzer, die genauso sicher sind bei einem Unfall. Unser Radnabenkonzept ist so aufgebaut, dass Sie in der Nabe nicht nur den Elektromotor haben, sondern auch die Bremse, die Leistungselektronik und die Steuerelektronik. Alles, was Sie sonst im Motorraum haben, sitzt in der Radnabe. Wenn Sie dann zum Beispiel die Batterien in einen Sandwich-Boden legen, dann werden sehr kompakte Fahrzeuge mit einem äußerst günstigen Schwerpunkt und vernünftigem Fahrverhalten möglich. Mit Schiebetüren versehen kann so ein Auto sogar in engen Lücken quer geparkt werden.
Mit Quereinparken meinen Sie, drehen sich die Räder um 90 Grad nach rechts oder links, oder?
Sie könnten mit Fahrzeugen, bei denen die Produktvorteile des Radnabenantriebs konsequent genutzt werden, auch rechtwinklig in Parklücken fahren. Unsere Expertise in puncto Lager- und Dichtungstechnologie sowie höchstpräziser Komponenten bietet uns die Möglichkeit, diese Produkte mit Alleinstellungsmerkmal zu kreieren.
Im Radhaus ist ja viel los. Wasser, Dreck, Steine. Geht da nichts kaputt?
Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das hinbekommen. Die Teile im Rad sind schon geschützt durch das Rad und die Felge. Zu den weiteren Punkten, die solch ein Fahrzeug schadlos zu überstehen hat, gehören aber auch Plattfuß, das Überfahren von Bordsteinkanten oder Tauchvorgänge.
Das heißt, das Gehäuse ist komplett wasserdicht?
Wir wollen jetzt nicht alle Details preisgeben, doch selbstverständlich ist das Gehäuse wasserdicht. Wenn Sie ein cleveres Vordichtungs-Konzept haben, das etwaige Verunreinigungen gar nicht erst an die echte Dichtung kommen lässt, dann hält eine Dichtung auch sehr gut.
Würden Sie sagen, Ihr Radnabenmotor ist serienreif?
Nein, wir sind jetzt mit einer bereits zweiten Generation im Vorserienstadium. Wir werden in absehbarer Zeit sicherlich noch eine dritte Generation sehen. In vier bis acht Jahren könnte man den Radnabenantrieb dann jedoch in Serie umsetzen.
Wird das teuer werden für die Kunden?
Wenn wir nicht diese exorbitanten Kosten bei den Batterien hätten, würde ich sagen, ist der elektrische Antriebsstrang heute nicht teurer als ein konventioneller Antriebsstrang, auf Sicht sogar günstiger. Im Augenblick ist die Batterie ein Kosten-Killer.
Was kostet die Kilowattstunde Batterie denn heute?
Als Zielgröße für 2016 ist von 250 Euro pro Kilowattstunde die Rede. Bei heute verkauften Fahrzeugen dürfte es eher in Richtung 700 Euro gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Batterie sich noch mal erheblich verbilligen lässt, ist deutlich höher, als dass sie deutlich mehr Reichweite hergibt.
Durch die Massenfertigung?
Ja, sowie durch andere Arten der Vormaterialaufbereitung, durch die Vergrößerung des Marktes, aber auch durch eine kontinuierliche Verbesserung der Verfahren und des Maschinen- und Anlagenbaus. Die Frage ist: Schaffen wir die Kostenreduktion in fünf, sechs Jahren oder erst in acht? Die andere Frage ist die nach der Reichweite. Wenn ich viel weiter kommen will, dann brauchen wir eine ganz andere Batteriechemie.
Daran wird geforscht, oder?
Man forscht zum Beispiel an Zink-Luft-Batterien, bei denen man noch nicht abschätzen kann, ob sie betriebssicher, temperatur- und alterungsresistent sind. Aber das physikalische Prinzip gäbe eine Ecke mehr her. Ganz vorsichtig geschätzt käme man damit auf die drei- bis vierfache Reichweite.
Mischt denn Schaeffler in irgendeiner Form an der Batterie-Front mit?
Nein. Wenn wir in die Batterietechnologie einsteigen würden, dann nur mit einer sensationellen Idee.
Fahren wir 2050 ausschließlich rein elektrisch?
So weit reichen unsere Szenarien nicht. Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2025 rund 50 Prozent der Fahrzeuge irgendwie elektrifiziert sein werden. 80, 90 Prozent werden aber noch einen Verbrenner an Bord haben. Das ist die positive Nachricht für die Motoren-Fraktion. Und nur ein geringerer Anteil, möglicherweise 10 bis 20 Prozent werden rein elektrische Fahrzeuge sein.
Das sieht die Politik in ihren Szenarien aber anders, oder?
Unsere Zahlen sind Zahlen für ein konventionelles Szenario. Wenn sich aber die Erderwärmung, die Ölverknappung oder ein Umweltproblem dramatisch entwickeln sollte, dann kann sich auch das Szenario dramatisch ändern. Dann werden die Anteile von Fahrzeugen ohne Verbrennungsmotor wesentlich höher sein.
Sehen Sie auch, dass sich das Verhältnis zum Auto ändert, insbesondere bei jungen Menschen?
Ich sehe den Trend auch. Aber das muss man quantifizieren. Vielleicht hatten wir früher 10 oder 20 Prozent, die das Auto von der ganz rationellen Seite gesehen haben. Und wenn der Trend sich jetzt in Richtung 30, 40 Prozent oder gar 50 Prozent verändert, heißt das aber auch, dass immer noch mehr als die Hälfte aller potenziellen Autofahrer vom Automobil die bislang bekannten Emotionen und Qualitäten erwarten. Dementsprechend wird die Kundenansprache auch künftig die emotionale Ebene bedienen. Das gilt auch für den Markt der Elektrofahrzeuge. Sie müssen irgendwie toll sein, positiv erlebbar, „Fun to Drive“ bieten. Wenn sie nicht die Sinne des Autofahrers ansprechen, werden sie auch nur schwer verkäuflich sein.
Sind Sie im Austausch mit Universitäten, die an Zukunfstechnologien im Auto forschen?
Wir sind zurzeit dabei, mit einer sehr renommierten Hochschule eine engere Kooperation zu begründen. Und da werden wir möglicherweise über den normalen Beratungsprozess deutlich hinausgehen. Und das kann dann so weit gehen, dass man auch gemeinsame Forschungseinrichtungen gründet.
Das heißt, die Industrie finanziert Forschung?
Die Industrie finanziert Forschung, und die Forschung sucht mehr die Nähe zur Industrie.
Die Bundesregierung spricht von einer Million Elektrofahrzeugen im Jahr 2020. Ist das realistisch? Wie zählt sie die Elektrofahrzeuge?
Möglicherweise wird man bei der Berechnung auch die Zahl elektrifizierter Fahrzeuge, sprich die Hybride mit einbeziehen müssen, um die Stückzahl von einer Million zugelassener Fahrzeuge zu erreichen.
Sie meinen Mild- und Vollhybride, also Autos ohne Stecker?
Auf lange Sicht glaube ich nicht, dass der Hybrid ohne Stecker eine sehr große Verbreitung erfahren wird.
Aber im Moment sieht es doch so aus, als wenn die Industrie genau damit loslegt?
Das ist richtig. Doch der Schritt wird sehr schnell in Richtung des Plug-in-Hybrids gehen. Denn da wird elektrisches Fahren erlebbar. Ich beobachte immer wieder, dass Autofahrer, die elektrische Fahrzeuge fahren, mit überraschend positivem Feedback zurückkommen. Hier ist die gegenüber einem herkömmlichen Fahrzeug mögliche bessere Beschleunigung eine eindeutige Motivation, die der Kunde schätzt. Es ist nicht ausreichend, wenn das Erleben nur an der Zapfsäule stattfindet.
Machen Sie auch die Erfahrung, dass Sie sich in der Stadt zwar noch halbwegs fortbewegen können mit dem Auto, aber es nirgendwo mehr hinstellen können?
Deswegen habe ich ja vorhin von diesen Zwei-Meter-Autos gesprochen. In Shanghai einen Parkplatz finden? Vergessen Sie es! Gibt es nicht.
Also müsste die Industrie wohl das aufblasbare Auto oder das Auto zum Zusammenklappen erfinden.
Im urbanen Bereich (lacht) könnten das Lösungen sein.
Interview: Wolfgang Rudschies
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